Potter Syndrom – Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten
Das Potter Syndrom ist auch unter den Namen Potter Sequenz, bilaterale Nierenagenesie, renofaziale Dysplasie oder Oligohydramnion-Sequenz bekannt. Es wird während der Schwangerschaft im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung bei Fruchtwassermangel, fehlendem Fruchtwasser oder auffälligen Nieren diagnostiziert.
Das Pottersyndrom wird in gängiger Literatur, auf Fachportalen und auf privaten Webseiten leider immer noch fälschlicherweise als für das Baby zwangsweise tödlich verlaufend beschrieben. Aufgrund dieser negativen Prognosen wird oft aus Unwissenheit keine vorgeburtliche Therapie durchgeführt und bewusst eine Abtreibung bzw. Beendigung der Schwangerschaft oder eine stille Geburt als Option gewählt.
Was ist das Potter Syndrom?
Das Pottersyndrom entsteht im Laufe der embryonalen Entwicklung. Während der Zellteilung, durch die sich Schritt für Schritt spezialisierte Zellen entwickeln, kommt es zu Fehlern. Diese Fehler haben zur Folge, dass sich Teile des Kindes bzw. seiner Organe nicht korrekt weiterentwickeln oder fehlen.
Im Falle des klassischen Potter Syndroms kommt es dabei zu einer fehlenden Entwicklung beider Nieren. Daher ist das Hauptmerkmal des Syndroms die bilaterale Nierenagenesie. Aufgrund der fehlenden Nieren kommt es zu fehlendem Fruchtwasser und daraus folgend zu weiteren Problemen. Es handelt sich also eher um eine Sequenz als ein Syndrom, welches durch die fehlenden Nieren ausgelöst wird. Daher ist auch der Begriff Pottersequenz gebräuchlich.
Das ursprüngliche Syndrom ist nach seiner Entdeckerin, der Pathologin Dr. Edith Louise Potter benannt, die dies erstmalig 1946 aufgrund ihrer Arbeit als Pathologin im Chicago Lying-In Hospital in ihrer Studie beschrieb. Sie stellte während ihrer Arbeit als Pathologen bei verstorbenen Neugeborenen Gemeinsamkeiten fest und fasste sie daher zu einer Gruppe zusammen.
Später wurde der Begriff Pottersyndrom erweitert und beinhaltet als Ursache des Syndroms nicht nur das vollständig fehlen beider Nieren, sondern auch das vorhanden sein nur einer Niere oder aufgrund verschiedener Ursachen nicht funktionierende Nieren.
Was fand Dr. Potter in ihrer Studie heraus?
Im Jahr 1946 beschrieb die 1901 geborene Dr. Edith Potter in ihrer Studie eine Gruppe von 20 Föten. Die Kinder hatten gemeinsam, dass keine Nieren entwickelt waren (bilaterale Nierenagenesie), die Lunge unterentwickelt war (Lungenhypoplasie) und die Kinder charakteristische Gesichtszüge.
Dabei war laut Dr. Potter die bilaterale Nierenagenesie das wichtigste Symptom, welches leider nicht mit dem Leben vereinbar sei.
Vorherige Studien und Beobachtungen legten nahe, dass diese Kombination von Symptomen eigentlich sehr selten auftritt. Durch ihre langjährige Arbeit als Pathologin am Chicago Lying-In Hospital konnte Dr. Potter allerdings sehr viele verstorbene Kinder untersuchen. Hierdurch zeigte sich, dass das Symptom wesentlich öfter auftritt als gedacht.
Insgesamt untersuchte Dr. Potter innerhalb von 10 Jahren ca. 5.000 verstorbene Föten oder Neugeborene im Rahmen von Autopsien, von denen 20 Kinder die Symptome hatten. Von diesen waren 17 männlich und 3 weiblich. Das Symptom tritt laut Potters Erfahrung also häufiger bei Jungen als bei Mädchen auf. Dr. Potter bezeichnete das Syndrom damals als „renofaziale Dysplasie“.
Zu diesem Zeitpunkt konnte aber noch nicht der Rückschluss gezogen werden, dass die unterentwickelte Lunge, die Verformungen der Extremitäten und die charakteristischen Gesichtszüge auf das fehlende Fruchtwasser und die damit entstehende Enge im Mutterleib zurückzuführen sind.
Auf Basis der Studien von Dr. Potter und ihrer Untersuchungen konnte später erkannt werden, dass es sich um eine Sequenz von Ereignissen handelt, deren Grundursache die fehlenden Nieren sind.
Zu ihren Ehren wurde das Syndrom Potter-Syndrom oder Pottersequenz genannt. Dr. Potter verstarb 1993.
Was ist die Ursache des Potter Syndroms?
Die Ursache ist die fehlende, teilweise oder fehlerhafte Entwicklung der Nieren. Ob eine genetische Ursache hierfür vorhanden ist, hängt stark von der Art der Nierenfehlentwicklung ab. Anhand der verschiedenen Ursachen gliedert sich das Pottersyndrom heutzutage in verschiedene Typen:
- Klassischer Typ: Die beidseitige Nierenagenesie ist die klassische Form, wie sie Dr. Potter beschrieb, die durch die fehlende Anlage beider Nieren des Embryos gekennzeichnet ist. Ursache kann eine zufällige Genmutation sein, laut aktuellem Stand der Forschung ist eine genaue genetische Ursache nicht nachvollziehbar.
- Typ 1: Ursache ist die Erkrankung ARPKD (Autosomal rezessive polyzystische Nierenerkrankung), die bei ca. einem vom 16.000 Neugeborenen auftritt. Die Nieren des Kindes sind vergrößert und sind voller mit Wasser gefüllter Zysten. Teilweise wachsen die Nieren sehr schnell. Die Nieren haben aufgrund der Zysten nicht die Fähigkeit, ausreichend Urin und somit Fruchtwasser zu produzieren. Die Leber und der Pankreas des Babys können ebenfalls betroffen sein.
- Typ 2a: multizystische Nierendysplasie mit Vergrößerung der Niere (multizystische Nierendysplasie), Ursache unklar
- Typ 2b: multizstische Nierendysplasie mit Verkleinerung der Niere (hypoplastische Nierendysplasie), Ursache unklar
- Typ 3: Ursache ist ADPKD (Autosomal dominante polyzystische Nierenerkrankung), eine genetisch dominant vererbte Nierenerkrankung, die in der Regel eher Erwachsene betrifft. In seltenen Fällen tritt sie auch bei einem Fötus auf.
- Typ 4: Obstruktionen des Harntraktes, bekannt unter LUTO (Lower Urinary Tract Obstruction). Durch eine Harnwegsobstruktion ist der Harnabfluss blockiert und die Nieren nehmen durch den Rückstau schaden.
- Sonstige Fehlbildungen, wie z. B. Zysten in den Nieren die nicht durch ARPKD oder ADPKD ausgelöst wurden, spontane genetische Mutationen oder fehlendes Fruchtwasser durch ein Leck in der Fruchtblase, d.h. einem sehr frühzeitigen Blasensprung
Aufgrund der nicht vorhandenen oder nicht ausreichend arbeitenden Nieren kommt es zu einem Fruchtwassermangel, da ein Großteil des Fruchtwassers der kindliche Urin ist. Wenn die Menge des produzierten Fruchtwassers die Menge unterschreitet, die der Fötus trinkt, verschwindet das Fruchtwasser nach einiger Zeit vollständig.
Ist noch ein Rest Fruchtwasser vorhanden, spricht man von Oligohydramnion, daher auch der Name Oligohydramnion-Sequenz. Wenn kein Fruchtwasser mehr vorhanden ist, spricht man von der sogenannten Anhydramnion.
Die hierdurch entstehende Enge und Bewegungsunfähigkeit des Kindes führen zu weiteren Symptomen.
Welche Symptome können auftreten?
Es ist wichtig zu wissen, dass die nachfolgenden Symptome bei Ihrem Baby auftreten können, aber nicht müssen. Ebenso gibt es große Unterschiede in der Ausprägung der Symptome. Die Ausprägung ist unter anderem davon abhängig, wie stark und wann der Fruchtwassermangel auftritt. Beim klassischen Pottersyndrom findet keine Fruchtwasserproduktion aufgrund der bilateralen Nierenagenesie statt.
Ziel einer Behandlung ist es, die Symptome abzumildern, welche durch den Fruchtwassermangel und somit der fehlenden schützende Flüssigkeitshülle um das Kind entstehen. Teilweise handelt es sich bei den Symptomen um „Schönheitsfehler“ und nachgeburtlich korrigierbare Probleme. Leider aber auch um überlebenswichtige Funktionen des Körpers:
- Lungenhypoplasie, eine Unterentwicklung und mangelnde Reife der Lunge, die ein Atmen nach der Geburt nicht ausreichend ermöglicht
- Klumpfüße: verschiedene Fehlstellung der Füße, wie beispielsweise nach innen geklappte Fußsohlen
- Deformationen der Beine: schiefe oder verformte Beine
- Fehlhaltungen: Verformung der Wirbelsäule
- Potter Facies: Fehlbildungen im Gesicht wie eine platte Nase („Papageienschnabel“), eine spezielle Form der Ohren, ein verkürzter Unterkiefer, Falte unterhalb der Augen oder ein großer Augenabstand
- Verformung des Kopfes: eine schiefe oder asymmetrische Kopfform
Wie wird das Pottersyndrom in der Schwangerschaft diagnostiziert?
Die Diagnose findet im Rahmen von vorgeburtlichen Ultraschalluntersuchungen statt. Die Problematik des reduzierten oder fehlenden Fruchtwassers ist optisch leicht zu erkennen: Die Flüssigkeit, die das Kind umgibt, wird im Ultraschall deutlich als schwarze Blase um das Kind dargestellt.
Neben der fehlenden Fähigkeit den produzierten Urin abzuleiten, wie es bei Diagnosen wie LUTO und Megazystis der Fall ist, besteht als Ursache für die Anhydramnion oder Oligohydramnion eine Schädigung der Nieren. Aufgrund der durch das fehlende Fruchtwasser meist sehr schlechten Ultraschallbedingungen ist eine Detaildiagnose oft schwierig. Daher wird oft als Diagnose nur Potter-Syndrom angeben, ohne dass eine spezielle Typzuordnung gewählt wird.
Eine Diagnose wird üblicherweise um die 17. Schwangerschaftswoche herum gestellt. Zu diesem Zeitpunkt übernehmen die Nieren des Kindes die Arbeit für die Produktion des Fruchtwassers, so dass Probleme durch das Pottersyndrom erkennbar sind. In der Zeit davor wird dies hauptsächlich durch die Mutter produziert, so dass die Fehlfunktion der Nieren nicht auffällt. Die Nieren des Kindes sind anfänglich auch noch zu klein, um diese im Ultraschall darzustellen, so dass ein eventuelles Fehlen dieser nicht auffällt.
„Normale“ Frauenärzte sehen komplexe Fehlbildungen der Kinder sehr selten und haben daher teilweise keine aktuelle Expertise zu Prognosen und Handlungsoptionen, weshalb so schnell wie möglich an ein Spezialzentrum für Nierenerkrankungen mit Stufe DEGUM III weitervermittelt werden sollte. So kam es bei unseren Familien vor, dass das Potter-Syndrom mit einer angeblichen beidseitigen Nierenagenesie diagnostiziert wurden, das Baby nach Geburt aber zwei Nieren hatte, wovon eine zumindest noch Flüssigkeit ausschied.
Weiterführende invasive oder nicht-invasive Untersuchungen, um die Funktionsfähigkeit der Nieren zu prüfen oder genetische Analysen durchzuführen, sind ein Risiko für Mutter und Kind. Für eine weitere Behandlung sind sie nicht relevant, außer die Eltern wünschen diese Informationen explizit, um eine Entscheidung zu treffen.
Einige Experten sind der Meinung, dass das Pottersyndrom als Diagnose durch die eigentliche Ursache ersetzt werden sollte, da laut Dr. Potter nur die bilaterale Nierenagenesie als Ursache definiert wurde, es aber verschiedene Ursachen gibt, die zu einer jeweils anderen Prognose für das Kind und dessen nachgeburtlicher Behandlung führen. Hierzu wurden die oben genannten verschiedenen Typen der Pottersequenz eingeführt. Dies hat sich leider noch nicht vollständig in Fachkreisen durchgesetzt.
Kann das Kind ohne Nieren im Bauch überleben?
Durch die Unterstützung der Mutter bzw. der Plazenta, kann das Kind im Bauch überleben. Alle notwendigen Nährstoffe und Sauerstoff werden durch die Plazenta über die Nabelschnur an das Kind weitergegeben. Die Plazenta filtert darüber hinaus alle Schadstoffe und Abfallprodukte. Das Blut wird durch die Nieren der Mutter mit gereinigt, so dass die geschädigten Nieren kein Problem darstellen. Ein Weitertragen des Kindes ist somit möglich, die Probleme der nicht ausreichenden Lungenentwicklung und der fehlenden Nierenfunktion kommen erst zum Zeitpunkt der Geburt zum Tragen. Bis auf den beengten Raum geht es dem Kind gut, d.h. es hat keine Schmerzen.
Wie sieht eine Therapie und Behandlung des Pottersyndroms aus?
Die hauptsächliche Todesursache ist die fehlende oder nicht ausreichende Entwicklung der Lunge des Kindes. Um dieses Problem zu lösen, gibt es im Bereich der minimal-invasiven Fetalchirugie verschiedene vorgeburtliche Therapien:
- Produzieren die Nieren des Kindes Urin, welches aber nicht ablaufen kann, wird ein Shunt oder Stent gelegt, über den der Urin abfließen kann. Auch eine Lasertherapie wird teilweise angewandt. Somit ist, falls die Nieren noch funktionieren, wieder Fruchtwasser vorhanden.
- Produzieren die Nieren zu wenig oder keinen Urin mehr, so werden Fruchtwasserauffüllungen, sogenannte Amnioninfusionen, durchgeführt.
- Weiterhin kann mit Hilfe eines Trachealballons die Lungengröße positiv beeinflusst werden
Alle drei Verfahren sind aufgrund ihrer seltenen Anwendung als experimentell einzustufen und haben keine Erfolgsgarantie. Die Behandlungen sollten nur von erfahrenen Operateuren an fetalchirurgischen Spezialzentren durchgeführt werden. Wie jede Operation beinhalten diese sowohl Chancen als auch Risiken, über die Sie Ihr Arzt aufklären wird.
Durch das zumindest zeitweise Vorhandensein des Fruchtwassers hat die Lunge die Möglichkeit zu wachsen und sich zu entwickeln, mit dem Ziel eine Größe und Leistungsfähigkeit zu erreichen, die dem Kind ein eigenständiges Atmen ermöglicht. Außerdem werden verschiedene Symptome verhindert oder abgeschwächt, da der Fötus nicht mehr beengt liegt und sich bewegen kann. Deformationen werden somit reduziert. Darüber hinaus lassen sich beispielsweise Klumpfüße nachgeburtlich korrigieren und ein schiefer Kopf kann mit speziellen Helmen im Wachstum so beeinflusst werden, das er deutlich symmetrischer wird.
Nicht vorhandene oder geschädigte Nieren können durch die Behandlung nicht ersetzt oder wiederhergestellt werden. Es handelt sich nicht um eine heilende Therapie.
Wie sind die Überlebenschancen bei Potter-Syndrom?
Die Überlebenschancen des Kindes sind von verschiedenen Faktoren abhängig. Ein möglichst frühzeitiges Erkennen der Problematik ist wichtig, um die Lungenentwicklung frühzeitig und über die Zeit hinweg bis zu deren Abschluss zu unterstützen. Gelingt dies nicht, versterben die Kinder nach der Geburt, da sie aufgrund der Lungenhypoplasie nicht selbstständig atmen können. Sie schlafen hierbei sanft ein.
Ebenfalls wichtige Faktoren für Überlebenschance und Langzeitprognose sind der Typ des Potter-Syndroms sowie ggf. existierende Zusätzliche Erkrankungen.
Gibt es eine ausreichende Lungenfunktion, die ggf. mit Sauerstoffgabe unterstützt wird, so hängt das langfristige Überleben des Kindes von einer funktionierenden Nierenersatztherapie ab, falls die Nieren nicht vorhanden oder stark geschädigt sind.
Kann ein Kind ohne Nieren oder ohne funktionierende Nieren leben?
Ein Kind ohne Nieren oder ohne vorhandene oder ausreichende Nierenfunktion kann überleben. Hierzu erhalten die Kinder ab Geburt Dialyse, meist in Form von Peritonealdialyse / Bauchfelldialyse. Eine Dialyse kann auch bei kleinen oder frühgeborenen Kindern durchgeführt werden, das Risiko von Problemen steigt hierdurch allerdings an.
Die Kinder erhalten später eine Nierentransplantation, z.B. von einem Elternteil oder Familienmitglied, einem verstorbenen Erwachsenen oder Kind. Transplantationen können ab ca. 10kg relativ sicher durchgeführt werden und es können auch kleine Erwachsenennieren verwendet werden.
Welche Erfahrungsberichte gibt es zum Potter Syndrom?
Wie ein Leben nach der Geburt aussehen kann, zeigen verschiedene Geschichten unserer Patenfamilien. Einige unserer Kinder haben die klassische Diagnose laut Dr. Potter mit bilateraler Nierenagenesie ursprünglich erhalten. Andere Kinder wurden zuerst mit Pottersequenz und später mit anderen Grunderkrankungen diagnostiziert, gehören also zu einem der anderen Typen des Potter-Syndrom.
Die von den Eltern verfassten Erfahrungsberichte zum Pottersyndrom finden Sie auf unserer Geschichten-Seite. Sie berichten von der Zeit vor der Geburt als auch vom Leben danach. Die dort gelisteten und viele weiteren Familien stehen Ihnen im Rahmen unseres kostenfreien Patenprogramms als Begleiter zur Verfügung:
In den amerikanischen Medien sind Berichte über die 2013 geborene Abigail Rose Herrera Beutler zu lesen, die mit Fruchtwasserauffüllungen, Dialyse und einer Transplantation das klassische Potter Syndrom mit beidseitiger Nierenagenesie überlebt hat.
Sie brauchen Hilfe? Wir sind für Sie da!
Unsere Paten sind Familien, die in der selben Situation waren wie Sie. Die Paten stehen Ihnen für einen Austausch über das jeweilige Krankheitsbild, über Erfahrungen vor und nach der Geburt sowie ihre persönlichen Entscheidungswege zur Verfügung. Somit können Sie besser den idealen Weg für Ihre eigene Familie finden.