Was ist das Ullrich Turner Syndrom?

Das Ullrich Turner Syndrom ist eine genetische Variation, benannt nach dem deutschen Kinderarzt Otto Ullrich, und dem amerikanischen Endokrinologen Henry Turner. Es kann bereits bei einem Baby vor der Geburt festgestellt werden oder erst nach der Geburt erkannt werden.

Es ist auch unter folgenden weiteren Begriffen bekannt:

  • Turner Syndrom
  • UTS
  • Monosomie X
  • Status Bonnevie-Ullrich

Die meisten Menschen besitzen 46 Chromosomen, die ihre Erbanlagen tragen. Zwei dieser Chromosomen sind sogenannte „Geschlechtschromosomen“, üblicherweise XY beim Mann und XX bei einer Frau. Bei Menschen mit dem UTS ist entweder ein Teil des zweiten Geschlechtschromosoms oder das gesamte zweite Geschlechtschromosom nicht vorhanden. Dies kann in allen Zellen eines Körpers der Fall sein, oder auch nur in einem Teil der Zellen. Da ein X-Chromosom deutlich mehr Gene als ein Y-Chromosom trägt, ist ein strukturell unauffälliges X-Chromosom Voraussetzung für das Überleben bis zur Geburt. Etwa die Hälfte der Personen mit UTS trägt den Chromosomensatz 45,X in allen getesteten Zellen. Sogenannte partielle Deletionen an einem zweiten X-Chromosom sind möglich, wobei das Fehlen bestimmter Gene auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms entscheidend ist. Hierbei „bricht also ein Teil des zweiten X-Chromosoms ab“.  Ein zweites X-Chromosom kann auch strukturell verändert vorliegen, etwa als sogenanntes „Isochromosom“, oder als „Ringchromosom“. Im Rahmen eines „genetischen Mosaiks“ können auch verschiedene „Zelllinien“ im Körper nebeneinander vorhanden sein. Eine dieser Zelllinien trägt hierbei eine für das Turner Syndrom typische Veränderung.

Am häufigsten ist bei dieser Mosaikform die Kombination einer 45,X Zelllinie mit einer unauffälligen 46,XX Zelllinie. In relativ seltenen Fällen lässt sich eine 46,XY Zelllinie finden. Das Vorliegen einer solchen ist in diesem Fall für die Behandlung relevant. Personen mit UTS, auch solche mit einer 46,XY Zelllinie, sind fast ausnahmslos Mädchen und Frauen. Die Inzidenz des UTS beträgt in Schwangerschaften etwa 1:400, jedoch nur 1:2500 unter lebenden weiblichen Geburten. In den meisten Fällen kommt es leider zu einer frühen Fehlgeburt des Babys. Wenn das Baby jedoch bis zur Geburt überlebt, hat es alle Chancen auf ein selbstständiges, erfülltes Leben.

Was ist die Ursache des Turner Syndroms?

Die oben beschriebene genetische Variation entsteht durch einen Fehler in der Zellteilung, also entweder der Mitose oder der Meiose. Die Meiose ist der Prozess, in dem aus einer Körperzelle in zwei Reifeteilungen Keimzellen (also Spermien oder Eizellen) entstehen. Genetische Mosaike werden durch einen Fehler in der Mitose, der Teilung von Körperzellen, hervorgerufen.

Konkrete Risikofaktoren sind jedoch nicht bekannt, bis auf absolute Ausnahmefälle, in denen Eltern eine sogenannte „balancierte Translokation“ tragen, oder strukturell abweichende X-Chromosomen innerhalb von Familien weitergegeben werden. Im Normalfall ist das UTS Folge einer spontanen Mutation. Das Alter der Mutter spielt keine Rolle, es besteht kein erhöhtes Wiederholungsrisiko für Geschwister, und nichts, was die Eltern eventuell getan oder nicht getan haben, hat zur Diagnose des Kindes geführt.

Was sind die Symptome des Turner Syndrom?

In der Schwangerschaft sind die schwersten, teilweise tödlichen Komplikationen des UTS Flüssigkeitsansammlungen (Zystisches Hygrom, Hydrops fetalis) aufgrund eines nicht ausreichend entwickelten Lymphsystems des Fötus.

Wie wird UTS in der Schwangerschaft beim Baby diagnostiziert?

Nicht invasive pränatale Testung (NIPT), ist momentan nicht besonders aussagekräftig für das UTS (ca. 30 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass eine Schwangerschaft mit „hohem Risiko für das UTS“ tatsächlich betroffen ist).  Sie wird eingesetzt, um ein erhöhtes Risiko festzustellen, aber das Ergebnis ist keine Diagnose.

Die invasive Testung mit Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie kann dagegen eine sichere Diagnose stellen.

Ein konkreter Verdacht auf das UTS kann durch eine auffällige Nackenfaltenmessung entstehen.

An welchen Mermalen ist das Ullrich Turner Syndrom nach der Geburt zu erkennen?

Jede einzelne Person zeigt im Allgemeinen nur eine Handvoll der möglichen Merkmale. Minderwuchs und Unfruchtbarkeit sind dabei die beiden praktisch universellen Symptome. Menschen mit dem UTS sind vermutlich nicht „ständig krank“, nicht „nur beim Arzt“. 

Die Körpergröße im Erwachsenenalter liegt bei durchschnittlich 1,46 m ohne Behandlung mit Wachstumshormon. Mit einer Behandlung mit Hormonspritzen im Mittel 5 bis 10 cm mehr, abhängig davon wie gut das Medikament anschlägt. Wenn die Eierstockfunktion fehlt, werden die wichtigsten normalerweise von den Ovarien produzierten Hormone (Östrogene und Gestagene) von der Pubertät an beginnend, bis zum Zeitpunkt der Wechseljahre, oft durch Tabletten, ersetzt. Dies geschieht im Rahmen einer HRT (Hormone Replacement Therapy). Auch, wenn – wie in 15 Prozent der Fälle mit 45,X – die Pubertät spontan einsetzt, ist sehr wahrscheinlich, dass die Eierstöcke ihre Funktion früh einstellen.

Dazu kommen oft, gerade im Kindesalter, häufige Mittelohrentzündungen. Schwerhörigkeit (unter anderem, aber nicht nur, als Folge der Mittelohrentzündungen), Schielen und Weitsichtigkeit kommen vor. Auch Lymphödeme bei Neugeborenen, also schmerzlose Schwellungen an Hand- und Fußrücken des Babys, sind oft zu sehen. Meist bilden sich die Lymphödeme zügig von selbst zurück, später im Leben können sie unter Umständen wieder auftreten.

Einige Personen mit UTS haben zum Teil nicht schwerwiegende, zum Teil ernsthafte angeborene Herzfehler (nach Häufigkeit geordnet, gibt es dabei zunächst die bikuspide Aortenklappe (in ca. 25% der Fälle). Die Aortenklappe hat also zwei statt normalerweise drei „Taschen“. Dieser angeborene Herzfehler kommt auch in der Allgemeinbevölkerung relativ häufig vor, und birgt gewisse Risiken, verursacht allerdings oft auch in keiner Weise Probleme. In manchen Fällen schwerwiegender ist die Aortenisthmusstenose (die in etwa 10% der Fälle vorliegt), also eine Verengung der Hauptschlagader, welche oft operativ behandelt werden muss. Und eines der extrem seltenen Probleme, auch für jemanden mit dem UTS, wäre das Hypoplastische Linksherzsyndrom, welches gerade im Zusammenhang mit der Monosomie X mit einer ungünstigen Prognose einhergeht, und in allen Fällen spätestens direkt nach der Geburt auffällt.

Ebenso hat jemand mit dem Turner Syndrom ein erhöhtes Risiko für Autoimmunerkrankungen (gerade die Hashimoto- Thyreoiditis, eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, die langfristig zur Schilddrüsenunterfunktion führt, aber auch Arthritis und chronisch entzündliche Darmerkrankungen, also Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa). Diese Erkrankungen sind allesamt behandelbar. Fehlbildungen der Nieren und Harnwege (z.B. eine Hufeisenniere) kommen vor, verursachen aber meist wenig Probleme.

Osteoporose, Skoliose sowie Übergewicht mit den entsprechenden Folgeerkrankungen (und Insulinresistenz auch unabhängig vom Körpergewicht) sind häufiger als in der Allgemeinbevölkerung.

Die gefürchtetste Komplikation beider Monosomie X ist die Aortendissektion, also ein lebensgefährlicher Riss in der Gefäßwand der Aorta. Hierfür hat man über die Lebenszeit statistisch gesehen ein zweiprozentiges Risiko. Durch Kardio MRTs und gute Einstellung eines eventuellen Bluthochdrucks lässt sich das Risiko senken.

Die äußeren primären Geschlechtsmerkmale sind in den allermeisten Fällen typisch weiblich. UTS-Charakteristika im Aussehen sind meist für einen medizinischen Laien nicht sonderlich auffällig.

Medizinische Komplikationen nach der Geburt, in den allermeisten Fällen, gut händelbar.

Wie sehen Therapie und Behandlung bei UTS aus?

Vorgeburtlich gibt es keine Behandlung von Symptomen des UTS, bis auf die operative Korrektur bestimmter Herzfehler spät in der Schwangerschaft. Nach der Geburt gibt es Leitlinien, die bestimmte Kontrolluntersuchungen empfehlen. Mögliche medizinische Komplikationen werden dementsprechend behandelt. Die Wachstumshormontherapie zur Steigerung der Endgröße (und Knochendichte) ist eine Option, die Hormonersatztherapie ab dem Pubertätsalter ist in den meisten Fällen sinnvoll.

Wie sind die Überlebenschancen des Babys bei UTS?

Nur ein bis zwei Prozent der Babys mit Turner Syndrom überleben laut Statistik bis zur Geburt. Jedoch sind in dieser Zahl viele sehr frühe Fehlgeburten der Föten mit einbegriffen. Im Laufe der Schwangerschaft nehmen die Überlebenschancen bei Monosomie X stetig zu. Vereinzelt gibt es Erfahrungsberichte von der spontanen Rückbildung auch sehr starker Flüssigkeitsansammlungen. Und wenn im Ultraschall keine Auffälligkeiten zu sehen sind, dann darf man davon ausgehen, dass das Kind gute Chancen hat zu überleben. Hier ist die Besprechung der individuellen Situation mit einem Spezialisten nötig.

Haben Kinder mit Turner Syndrom eine geistige Behinderung?

Die Antwort ist ein klares Nein. Das Ullrich Turner Syndrom verursacht im Allgemeinen keine geistige Behinderung. Dies steht im Gegensatz zu teils noch kursierenden, veralteten Informationen. Ausnahme ist der Karyotyp mit Ringchromosom X.

Tendenziell geht das UTS mit Stärken im sprachlichen Bereich, und als Gruppe sogar überdurchschnittlichen Schulabschlüssen einher, aber auch mit relativen Schwächen im räumlichen Denken, und Zeitgefühl. Dies kann sich in verschiedenen Lebensbereichen zeigen, das UTS kann auch auf verschiedene Weise psychosoziale Belastungen bedingen.

Dies ist aber kein spezieller Fall des UTS: jeder Mensch hat bestimmte Stärken und Schwächen. Frauen mit UTS arbeiten in jedem nur denkbaren Beruf, von Ärztin über Richterin bis Wissenschaftlerin. Wie jede andere Gruppe von Menschen auch, sind sie individuell in ihren Stärken, Schwächen und Charakterzügen.

Welche Erfahrungsberichte gibt es zu UTS?

Einen Erfahrungsbericht zum UTS finden Sie auf unserer Geschichten-Seite:

Anne – Ulrich Turner Syndrom | BFVEK e.V.

Anne steht Ihnen im Rahmen unseres kostenfreien Patenprogramms als Begleiterin zur Verfügung.

Sie brauchen Hilfe? Wir sind für Sie da!

Unsere Paten sind Familien, die in der selben Situation waren wie Sie. Die Paten stehen Ihnen für einen Austausch über das jeweilige Krankheitsbild, über Erfahrungen vor und nach der Geburt sowie ihre persönlichen Entscheidungswege zur Verfügung. Somit können Sie besser den idealen Weg für Ihre eigene Familie finden.