Schelmi erhielt nach der Geburt die Diagnose Amnionbandsyndrom / amniotisches Bandsyndrom.
Die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen bei Frauenarzt und Hebamme verliefen unauffällig. Alles in Ordnung. Ich habe mich allerdings von Anfang an mit dem Zustand Schwangerschaft nicht so richtig wohlgefühlt. Im Nachhinein könnte man natürlich denken, dass mein Körper mir damit vielleicht schon einen Hinweis geben wollte. Aber gut, Spekulation.
Bis auf übliche Komplikationen wie starke Rückenbeschwerden und Wassereinlagerungen verlief meine Schwangerschaft also unauffällig. Nun bin ich ein Mensch, der zwar ein starker Optimist ist, sich dennoch aber über sehr viele Dinge Gedanken macht, natürlich erstrecht in der Schwangerschaft. Und auch weil ich das schon einmal im Freundeskreis mitbekommen hatte, wollte ich auf jeden Fall vermeiden, dass mein Baby und ich nach der Geburt aus irgendwelchen Gründen getrennt werden müssten. Daher hatte ich den Plan, in einer Klinik mit angegliederter Kinderklinik zu entbinden. Mein Frauenarzt und auch die Hebammen rieten mir davon ab, wenn sich im Verlauf der Schwangerschaft keine Auffälligkeiten ergeben hätten wäre doch auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei oder nach der Geburt Komplikationen ergeben könnten so gering, da würde ich doch besser eine kleinere Klinik nehmen, auch wenn es dort keine Kinderklinik gäbe.
Der errechnete Geburtstermin war der 02. Mai 2021. Ich hatte aber die ganze Zeit das Gefühl und irgendwie auch den Wunsch / eine gewisse Unruhe, dass die Kleine sich früher auf den Weg machen würde und am 15. April 2021 um 10:44 Uhr war es dann auch bereits so weit und unser kleiner Schelm (ihr Kosename ist Programm 😉) erblickte das Licht der Welt. Noch bevor ich die Kleine in die Arme schließen konnte irritierte mich der Blick meines Mannes sehr. Sollte er eigentlich überschäumen vor Glück sah er so besorgt und ängstlich aus, wie ich ihn noch nie in unserer gemeinsamen Zeit gesehen hatte. Ich sagte zu ihm, dass ich mir seine Reaktion sehr anders vorgestellt hatte und fragte, was denn los sei. Und er sagte, ich solle mir die Hände und Füße unserer kleinen Maus ansehen. Das tat ich. An beiden Füßen fehlten bei den meisten Zehen die vorderen Glieder und Nägel. Am rechten Fuß waren der 2. und 3. Zeh miteinander verbunden und an deren Ende hing ein kreisrundes ziemlich großes (ca. 2 cm Durchmesser) mit Flüssigkeit gefülltes „Anhängsel“. An der linken Hand fehlte das vordere Glied des Ringfingers und der Nagel des Mittelfingers. Die rechte Hand hatte es am Schlimmsten erwischt: Der Zeigefinger war nahezu vollständig amputiert, der Daumen hatte in der Mitte eine starke Einschnürung, die 3 restlichen Finger waren durch Bänder an den Spitzen verbunden. Bei Ring- und kleinem Finger fehlten die vorderen Kuppen und die Kuppe des Mittelfingers war mittig zwischen Mittel- und Ringfinger angewachsen.
Die Ärztin hatte zu diesem Zeitpunkt lediglich das Anhängsel am Zeh bereits bemerkt, wir riefen sie zu uns und der Kleinen und zeigten ihr die Hände und Füße. Ab dann ging alles recht schnell. Nachdem sie erkannt hatte, dass alle Extremitäten betroffen waren informierte sie uns, dass sie die Kleine in die Kinderklinik verlegen lassen würde, da abzuklären sei, ob auch Organschäden vorhanden sind. Für uns natürlich ein Schock, waren wir doch davon ausgegangen, dass alles in Ordnung wäre. Ca. 1 Stunde nach der Geburt wurde Schelmi also mit dem Krankenwagen (wg. Corona ohne Eltern, was uns wirklich sehr schwerfiel) in die nächstgelegene Kinderklinik gebracht. Ich selbst konnte leider erst am nächsten Tag zu ihr in die Klinik, da ich körperlich noch nicht fit genug war. Mein Mann konnte ihr glücklicherweise aber zumindest den Tag über in die Kinderklinik folgen und sie dort zu ihren Untersuchungen begleiten.
Um 16:04 Uhr erreichte mich die Nachricht meines Mannes mit der Diagnose „Amnionband-/Schnürringsyndrom“. Nie zuvor gehört. Zusammen mit der Nachricht ein Link des BFVEK e.V. zur Geschichtenseite. Ich las die dort zu dem Zeitpunkt zwei Erfahrungsberichte und Informationen zum Syndrom, was mir sehr half unsere Situation besser einordnen und alles verstehen zu können. Es folgte Entwarnung durch meinen Mann was eventuelle Organschäden anging – alles im grünen Bereich. Es gab noch Öffnungen an Herz und Leber die aber darauf zurückzuführen waren, dass die Ultraschalle unmittelbar nach der Geburt erfolgten. Diese Öffnungen haben sich im Laufe der Zeit von selbst geschlossen.
Am Folgetag konnte ich endlich zu unserer kleinen Maus in die Klinik und dort als ihre Begleitperson aufgenommen werden. Ihre erste Nacht auf der Welt ganz ohne Mama und Papa hatte sie so mäßig gut überstanden, wollte nicht trinken und hat am Morgen gewürgt. Das änderte sich aber durch unsere Nähe zum Glück sofort und ab diesem Zeitpunkt ging es der Kleinen richtig gut. Sie war ein reif entwickeltes Baby. Im Laufe des Tages setzten sich die Ärzte mit dem Wilhelmsstift in Hamburg in Verbindung, da es dort auch Experten für dieses Syndrom gibt. In Absprache mit den dortigen Kollegen wurde das Anhängsel an den Zehen unserer Tochter mit einem dünnen Faden abgeschnürt.
Wir sollten in der Klinik bleiben, bis das Anhängsel dann von alleine abfallen würde. Das war am 6. Lebenstag der Fall und so durften wir am 20. April 2021 endlich nachhause. Natürlich ist das verglichen mit vielen anderen Fällen keine lange Zeit und trotzdem kam es uns nach dieser Achterbahn der Gefühle ewig vor. Wir waren einfach überglücklich zuhause und endlich alle vereint zu sein. In Abstimmung zwischen den Ärzten in Kaiserslautern und Hamburg sollten wir uns dort in 3-4 Monaten vorstellen um zu besprechen, wie genau es mit der rechten Hand unseres kleinen Schelms weitergehen sollte.
In der 1. Maiwoche 2021 war unsere Kleine dann schon ein gutes Stück gewachsen und hatte kräftig zugenommen was dazu führte, dass die Hautbrücke zwischen Ring- und kleinem Finger auf Spannung kam und sehr gerötet wirkte. Das machte uns natürlich Angst, weil wir nicht einschätzen konnten, wie es verlaufen würde, würde das Band reißen. Nachdem wir im Wilhelmsstift so kurzfristig keinen Termin bekamen, stießen wir durch eigene Recherche auf Dr. Svoboda in der Universitätsmedizin Mannheim, der in der Kinderchirurgie ebenfalls mitunter auf Amnionband-/Schnürringsyndrom spezialisiert ist. Ich kontaktierte ihn am 6. Mai 2021 zum ersten Mal und wir durften uns bereits am 7. Mai 2021 in Mannheim vorstellen. Frau Dr. Deeg durchtrennte in Abstimmung mit Dr. Svoboda ambulant und auch ohne Betäubungsmaßnahmen, da die bei der noch sehr jungen Maus kritischer gewesen wären, als das dünne Band so zu durchtrennen, die Hautbrücke und Schelmi bekam für 3 Tage einen Verband, den wir zuhause selbst abnehmen konnten. Wir vereinbarten einen weiteren Termin zur Besprechung der nächsten Schritte.
Im folgenden Termin wurden die Hände und Füße von Schelmi geröntgt und wir besprachen mit Dr. Svoboda das weitere Vorgehen: Es würden 2 Operationen erforderlich werden: In einer ersten Operation um den ersten Geburtstag herum sollte der Winkel zwischen Daumen und amputiertem Zeigefinger vergrößert werden, um die Greiffähigkeit zu verbessern. Außerdem sollten die durch das vordere Glied des Mittelfingers verwachsenen Mittel- und Ringfinger getrennt und das Häutchen zwischen den beiden Fingern vertieft werden (diese Häutchen waren alle dadurch, dass die Finger der rechten Hand so verbunden waren, zu weit nach oben zusammengewachsen wodurch natürlich einiges an Länge der Finger fehlte). Für Letzteres wäre eine kleine Hauttransplantation erforderlich die aus der Ellenbeuge entnommen werden sollte. In einer zweiten OP sollten dann die Häutchen zwischen den anderen Fingern der rechten Hand ebenfalls erweitert sowie das im Daumen eingeschnürte Band entnommen und geglättet werden, da diese Einschnürung andernfalls das Lymphsystem beeinträchtigen und so z.B. im Sommer Wassereinlagerungen oder Schwellungen hervorrufen könnte. Ein solches Band würde auch in der ersten OP noch am großen Zeh des rechten Fußes entfernt und geglättet werden.
Stand heute hat die 1. Operation am 22. Juli 2022 wie geplant in Mannheim stattgefunden, ist ohne jegliche Komplikationen verlaufen und das Ergebnis ist prima. Schelmi hatte nach der OP kaum Schmerzen und hat ihre Hand sowie den Fuß direkt nach Abnahme der Verbände so benutzt, als wäre die Situation nie anders gewesen. Wir sind überglücklich auf die Experten in Mannheim gestoßen zu sein, weil wir zum einen sehr zufrieden mit dem Ergebnis sind und zum anderen Mannheim auch deutlich näher an unserem Wohnort liegt und uns das für eventuelle Akutsituationen wie am Anfang ein sehr beruhigendes Gefühl gibt.
Unsere Kleine ist ein sehr fröhliches, neugieriges und freches Mädchen und wir sind jeden Tag einfach froh und dankbar, dass sie da ist und die Abschnürungen zum Glück keine schlimmeren Schäden angerichtet haben.
Und da uns die Geschichtenseite sowie der Kontakt und Austausch im BFVEK e.V. in unserer Situation sehr weitergeholfen und gestärkt hat war für uns klar, dass wir Schelmis Geschichte auch hier teilen und damit hoffentlich ebenso Unterstützung für Betroffene bei diesem doch selten vorkommenden Syndrom geben zu können!
Schelmis Eltern sind Teil des Patenprogramms des BFVEK e.V. und freuen sich über Ihre Kontaktanfragen mit unserem Online-Formular.
Sie brauchen Hilfe? Wir sind für Sie da!
Unsere Paten sind Familien, die in der selben Situation waren wie Sie. Die Paten stehen Ihnen für einen Austausch über das jeweilige Krankheitsbild, über Erfahrungen vor und nach der Geburt sowie ihre persönlichen Entscheidungswege zur Verfügung. Somit können Sie besser den idealen Weg für Ihre eigene Familie finden.
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