Hannah hat im Laufe der pränatalen Untersuchungen die Diagnose Spina Bifida und Arnold-Chiari-Malformation erhalten

Anfang Oktober 2010 waren wir zu einer regulären Ultraschall-Untersuchung bei der Frauenärztin. Sie schallte sehr lange und meinte, mit dem Kopf stimme irgendetwas nicht. Sie überwies uns zu einer „Koryphäe“ in Sachen Pränataldiagnostik in eine größere Stadt. Auf dem Überweisungsschein standen „Lemon Sign“ und „Banana sign“. Wir googelten, verwirrt und verzweifelt. Die Behinderung Spina bifida (offener Rücken) stelle sich im Ultraschall durch einen zitronen- und bananenförmigen Kopf des ungeborenen Kindes dar, lasen wir. Schon am nächsten Tag waren wir in der pränatalmedizinischen Praxis. 

Die Koryphäe schallte sehr lange, ohne auf unsere ängstlichen Fragen einzugehen, sagte hin und wieder zur ebenfalls anwesenden Kollegin „Sehen Sie hier“ und zeigte auf den Kopf unseres Kindes. Das Gerät des Pränataldiagnostikers war sehr viel besser als das unserer Frauenärztin. Wir konnten sehen, wie unsere Tochter ihre Beine und Zehen bewegte und am Daumen lutschte. Endlich beendete der Arzt die Ultraschalluntersuchung. Betäubt und im absoluten Schock erfuhren wir von ihm, dass unser Kind später höchst wahrscheinlich im Rollstuhl sitzen werde, dass wir bei ihm 


auch mit einer geistigen Behinderung rechnen müssten und dass mit dem Krankheitsbild eine Blasen- und Mastdarmfunktionsstörung verbunden sei. „Kann man denn JETZT nichts machen?“, fragten wir den Arzt. Es war doch deutlich zu sehen gewesen, wie die Kleine ihre Beine, ihre Füße, ihre Zehen bewegte. Die Koryphäe verneinte und begann, von der Wahrscheinlichkeit des Auftretens der Behinderung bei der nächsten Schwangerschaft zu sprechen. Im Arztbericht stand „Großer Neuralrohrdefekt: Lumbosacrale Spina bifida aperta mit Mikrozephalie, Ventrikulomegalie, Arnold-Chiari-Malformation Typ II. Bei den erhobenen Befunden 

ist die Prognose extrem schlecht“. Und im Raum stand die Beendigung der Schwangerschaft. Im Schock fuhren wir nach Hause. Wir weinten drei Tage lang. Wir riefen nochmals in der pränatalmedizinischen Praxis an und baten um psychosoziale Unterstützung. Und wir versuchten uns so viele Informationen wie möglich zu beschaffen. Dann passierten mehrere Dinge sehr schnell hintereinander. Uns wurde von der Praxis aus eine Beratungsstelle empfohlen. Das Gespräch dort tat sehr gut. Wir ließen auf dringendes Anraten des Pränataldiagnostikers eine Fruchtwasser-untersuchung durchführen. Und wir stießen im Internet auf das Deutsche 


Zentrum für Fetalchirurgie und telefonierten mit dessen Leiter. Er war in dieser Zeit der erste Arzt, bei dem wir das Gefühl hatten, dass er von einem ungeborenen Kind spricht. „Ihr Muggelchen“, sagte er. Auch das tat sehr gut. Und er meinte, dass die Zahlen aus dem Arztbrief gar nicht so schlecht aussehen. Es sei auch sehr günstig, dass das Muggelchen die Beinchen bewege und keine Fußfehlstellung habe. Man könne den Rücken noch während der Schwangerschaft verschließen und so wichtige Funktionen erhalten. Wir gingen erneut in die große pränatalmedizinische Praxis zur genetischen Beratung und sprachen dort auch die Möglichkeit einer pränatalen

Operation an. Das sei experimentell, sagte man uns, ohne nachgewiesene Verbesserung des Outcomes. Im Arztbericht konnten wir lesen, mit welchem „Outcome“ wir bei dieser Schwangerschaft zu rechnen hätten: Es „muss der Fet in die Gruppe mit der schlechtesten Prognose für die körperliche und mentale Entwicklung eingeordnet werden (Kriterien: hohe, lumbosakrale Spina bifida, ausgeprägte Ventrikulomegalie, ausgeprägte Mikrozephalie und Arnold-Chiari Malformation)“. Wir fuhren zum Gespräch nach Gießen ins Deutsche Zentrum für Fetalchirurgie (neuer Standort: Mannheim). Und wir entschieden uns sehr schnell für die Operation, die dann zu Beginn der 22. Schwangerschaftswoche stattfand.


Unsere Tochter ist nun ein Schulkind. Kürzlich ist sie bei einer Sportveranstaltung 2,5 km gelaufen. Wir wandern mit ihr, wir fahren Fahrrad und Schlittschuh. Im Kindergarten hat sie als eines der wenigen Mädchen beim Schnupperfußballtraining mitgemacht. Sie besucht keine besondere Schule und hat auch keine Schulbegleitung. Sie wurde, seit sie auf der Welt ist, kein einziges Mal operiert – weder am Rücken, noch am Kopf, noch an den Füßen. Alle medizinischen Begleiterscheinungen der Spina bifida sind bei ihr extrem abgeschwächt oder gar nicht aufgetreten.

Gerne informieren wir als Paten über den Entwicklungsverlauf unserer Tochter – angefangen von der Arnold-Chiari-Malformation, deren Zurückbildung man in den Wochen nach der pränatalen OP beobachten konnte, über den geplanten Kaiserschnitt in der 35. Schwangerschaftswoche, das Kopfwachstum in der Zeit nach der Geburt (die Angst vor einem Shunt war im ersten Lebensjahr groß) bis zum Laufen lernen, das sehr viel später als bei anderen Kindern einsetzte.

Hannahs Eltern sind Teil des Patenprogramms des BFVEK e.V. und freuen sich über Ihre Kontaktanfragen mit unserem Online-Formular.

Stand 15.12.2017

Sie brauchen Hilfe? Wir sind für Sie da!

Unsere Paten sind Familien, die in der selben Situation waren wie Sie. Die Paten stehen Ihnen für einen Austausch über das jeweilige Krankheitsbild, über Erfahrungen vor und nach der Geburt sowie ihre persönlichen Entscheidungswege zur Verfügung. Somit können Sie besser den idealen Weg für Ihre eigene Familie finden.