Mathildes Geschichte

Mathilde hat im Rahmen pränataler Untersuchungen die Diagnose Amnionbandsyndrom / amniotisches Bandsyndrom erhalten.

Meine erste Schwangerschaft hätte für uns ein Unglück werden können. Dass sie das nicht wurde, haben wir Thomas Kohl zu verdanken. An ihn haben wir uns gewendet, nachdem bei der feindiagnostischen Untersuchung in der 22. Schwangerschaftswoche Amnionbänder in meiner Fruchtblase festgestellt wurden. Wie wir inzwischen wissen, können sich Fäden oder Bänder aus einem Teil der Fruchtblase, dem Amnion, lösen. Diese Amnionbänder können im Verlauf einer Schwangerschaft unauffällig und unproblematisch bleiben. Es kann aber auch passieren, dass sich das ungeborene Kind in den Bändern verfängt. Ganze Gliedmaßen können durch ein Amnionband abgetrennt werden. In unserem Fall wurde festgestellt, dass sich unser Baby mit seiner rechten Hand in dem Band verfangen hatte. Die Finger der rechten Hand hatte es bereits verloren, aber der Daumen war intakt. Außerdem fehlten bereits die große Zehe am linken Fuß und zwei Zehenendglieder am rechten Fuß. Besorgniserregend war aber der Befund, dass sich das Amnionband auch am Nabelschnuransatz befand und sich dort um die Nabelschnur gewickelt hatte. 

Dieser Befund hätte Schlimmes zur Folge haben können: Die Blut- und Sauerstoffversorgung durch die Nabelschnur hätte unterbrochen werden können, wodurch unser Baby schwere Schäden hätte davontragen oder sogar sterben können. Der Feindiagnostiker bot uns eine weitere Untersuchung nach acht Wochen an. Unsere Sorge darüber, was in diesen acht Wochen passieren könnte, war groß. Der erste Schreck über die fehlenden Finger und Zehen unseres Babys trat in den Hintergrund. Die eigentliche Erkenntnis war, dass unser Baby vielleicht nicht überleben würde. Nach der Untersuchung begann mein Mann zu recherchieren und las deutsche und amerikanische Foreneinträge. Auf der Seite des Universitätsklinikums Gießen (heute: Mannheim) ist er auf Thomas Kohl gestoßen, dessen Handynummer angegeben war. Zehn Minuten nachdem mein Mann es telefonisch versucht hatte, rief Herr Kohl zurück. Er sagte uns, dass er Amnionbänder in der Vergangenheit bereits erfolgreich operativ entfernt hätte und bot uns eine Untersuchung in Gießen an.

Noch am Tag der Diagnose brachen wir auf und fuhren von Berlin nach Gießen, um Herrn Kohl zu treffen. Für uns stand fest, dass wir es nicht unversucht lassen wollten, das kleine, ungeborene Leben, auf das wir uns so freuten und das uns schon so lieb war, zu schützen. Einen Tag später trafen wir Dr. Kohl und seinen Kollegen Dr. Axt-Fliedner, der den Ultraschall durchführte. Mein Mann und ich waren beeindruckt von beiden Ärzten und davon, wie gezielt sie „schallten“ und die Bilder interpretierten. Sie bestätigten den Befund und Herr Kohl klärte uns darüber auf, was er tun könne: 

Die eine Möglichkeit war, gleich, noch in der 22. Woche, intrauterin zu operieren und das Amnionband vom Nabelschnuransatz zu lösen. Da aber die Fruchtblase durch den Eingriff beschädigt würde, käme es früher oder später zu einem Blasensprung. Unsere Tochter würde folglich zu früh auf die Welt kommen. Sollte etwas Unerwartetes geschehen und schieflaufen, könnte die Fruchtblase auch während der OP oder unmittelbar danach springen. In diesem Fall wäre unser Baby in der 22. Woche nicht zu retten gewesen.

Die andere Möglichkeit war, mit der Operation noch einige Wochen zu warten, bis unser Baby gut überlebensfähig gewesen wäre. In diesem Fall würde ein vorzeitiger Blasensprung keine Gefahr für das Leben unseres Kindes darstellen. Das Problem war aber, dass nicht vorhersehbar war, was die Amnionbänder in den Wochen des Wartens anrichten würden. Herr Kohl nahm sich mit der größten Geduld Zeit für uns und ging auf unsere Fragen und Sorgen ein. Die Entscheidung mussten wir aber letztlich alleine treffen.

Glücklicherweise waren mein Mann und ich uns einig: Wir waren beide für die Operation in der 22. Schwangerschaftswoche. Wir wollten nicht abwarten, während unser Baby weiteren Schaden nimmt. Wir wollten, dass es aus den Amnionbändern befreit wird. Und wir waren sehr glücklich in Thomas Kohl jemanden gefunden zu haben, der das auch schaffen könnte.

Vier Tage nach dem ersten Gespräch mit Herrn Kohl fand die Operation statt. Sie dauerte knapp drei Stunden und Herrn Kohl gelang es, unsere kleine Tochter aus dem Amnionband zu befreien. In vorsichtigster Feinarbeit – damit die Nabelschnur auf keinen Fall beschädigt würde – durchschnitt er das Amnionband mit einer winzigen Schere und legte so die Nabelschnur frei. In ebensolcher Feinarbeit durchtrennte er den kleinen Amnionfaden, der um den Daumen unserer Tochter lag und konnte somit ihren Daumen retten. Dass die Operation erfolgreich verlaufen war, wusste ich nicht, als ich im Aufwachraum aus der Narkose zu mir kam. Ich spürte, dass mein Bauch kleiner war als vor der Operation. 

Zum Glück war ich noch benommen und konnte meine Gedanken nicht ordnen. Aber bedeutete der kleinere Bauch nicht, dass kein Baby mehr darin war? Als mein Mann strahlend hereinkam, wurde mir aber klar, dass es unserem Baby gut ging. Nicht nur gut, sondern bedeutend besser als vor der OP. Später kam Herr Kohl und bestätigte aus ärztlicher Sicht, dass die Operation gut verlaufen war und dass unser Baby in Ruhe weiter in meinem Bauch wachsen könne. Dass mein Bauch kleiner war, lag daran, dass für die OP Fruchtwasser abgelassen werden musste, um eine klare Sicht zu ermöglichen.

Zwei Tage nach der Operation trafen wir Herrn Kohl für ein ausführlicheres Nachgespräch. Bei diesem Treffen zeigte uns Herr Kohl Operationsaufnahmen aus dem Bauch. Auf diese Weise sahen wir zum ersten Mal unsere Tochter!

Die kommenden Wochen verbrachte ich im Großen und Ganzen liegend zu Hause. Einmal pro Woche sah der Frauenarzt nach der Entwicklung unseres Babys. Es gab keine weiteren Auffälligkeiten.

Trotz allem trat der angekündigte Blasensprung in der 29. Woche ein. Unsere Tochter Mathilde kam dann in der 30. Schwangerschaftswoche, am 14. August 2017, in Berlin zur Welt. Bei ihrer Geburt wog sie 1.480 Gramm. Ihrem Geburtsgewicht entsprechend waren ich noch mehrere Wochen mit ihr auf der Frühchenstation im St. Joseph Krankenhaus. Ich konnte die ganze Zeit mit ihr vor Ort sein und hatte ein Bett neben ihrem Brutkasten. Sicherlich stellt der Brutkasten nicht den einfachsten Start ins Leben dar und mitunter war die Zeit im Krankenhaus aufwühlend. Aber insgesamt überwog die Erleichterung und vielleicht auch der Stolz, dass unser kleines Mädchen schon so viel durchgestanden hatte und es auf die Welt geschafft hatte. 

Wie klein Mathilde bei ihrer Geburt wirklich war, haben wir ohnehin erst später realisiert, als wir mit einigem zeitlichem Abstand die Fotos aus dem Krankenhaus angesehen haben. Mathilde ist heute ein Jahr alt und sie ist ein vergnügtes, energisches Mädchen. Ihr Handicap an der rechten Hand und an den Füßen vergessen wir die meiste Zeit und für sie selbst stellt es auch kein Hindernis dar. 

Dass an ihrer kleinen Hand der Daumen vorhanden ist, ist von unschätzbarem Wert, denn er ermöglicht es ihr zu greifen. Unser Eindruck ist sogar, dass sie die rechte Hand bevorzugt, obwohl sie doch auf dieser Seite vermeintlich eingeschränkt ist. In einigen Wochen wird Mathilde im Kinderkrankenhaus Wilhelmstift in Hamburg an ihrer Hand operiert. Sie wird dadurch differenzierter mit ihrer rechten Hand umgehen können, da die vorhandenen Fingeransätze, die derzeit noch miteinander verwachsen sind, voneinander getrennt werden.

Gegenüber Herrn Kohl empfinden wir eine große Verbundenheit. Wir haben ihn als respektvollen, wohl überlegten und zugewandten Arzt kennengelernt, der unsere Sorgen ernst nahm und der uns auf Augenhöhe begegnete. Wir werden wohl immer an ihn denken und freuen uns schon darauf, ihm Mathilde eines Tages vorzustellen.

 

Mathildes Mutter ist Teil des Patenprogramms des BFVEK e.V. und freut sich über Ihre Kontaktanfragen mit unserem Online-Formular.

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Unsere Paten sind Familien, die in der selben Situation waren wie Sie. Die Paten stehen Ihnen für einen Austausch über das jeweilige Krankheitsbild, über Erfahrungen vor und nach der Geburt sowie ihre persönlichen Entscheidungswege zur Verfügung. Somit können Sie besser den idealen Weg für Ihre eigene Familie finden.