Jules und Ems erhielten folgende vorgeburtliche Diagnosen: Zwillingstransfusionssyndrom, FFTS, fetofetales Transfusionssyndrom

Es ist der 17. August 2023, der sich wie kein anderer Tag in mein Gedächtnis eingeprägt hat. Ich arbeite mal wieder im Homeoffice. Eigentlich wollte ich mir die wenigen Homeoffice Tage fürs Ende meiner Schwangerschaft aufsparen, aber seit etwa zwei Wochen fühle ich mich nicht mehr fit. Der Bauch ist riesig und ich habe das Gefühl mich kaum noch bewegen zu können, dabei bin ich mit unseren mono-di Zwillingen doch erst in der 23. Schwangerschaftswoche.  Ich hatte meine Hebamme diesbezüglich schon mehrfach angesprochen, immerhin konnte es ein Anzeichen für das Zwillingstransfusionssyndrom sein. Das Zwillingstransfusionssyndrom kann bei eineiigen Zwillingen, die sich eine Plazenta teilen, zu einer ungleichen Versorgung der Babys und damit zu einer schweren Durchblutungsstörung führen. Aber meine Hebamme sagte nur, dass es für eine Zwillingsschwangerschaft normal sei und dass man das Zwillingstransfusionssyndrom nicht spüren könnte. Und selbst wenn, könnte man dann eh nichts mehr machen, die Laserbehandlung sei neumodischer Humbug.  Ich solle lieber auf die Untersuchungen vertrauen. Die letzte Untersuchung bei einer Vertretungsärztin war noch keine Woche her und hatte keinerlei Auffälligkeiten ergeben.

Aber mein ungutes Gefühl bleibt. Und so habe ich für heute einen weiteren Untersuchungstermin bei einem andren Vertretungsarzt angefragt. Auch ihm vertraue ich meine Beschwerden und Ängste an. Und auch er sagt, dass es beiden gut geht. Allerdings hätte ein Baby etwas viel Fruchtwasser, das meinen schweren Bauch erklären würde. Das sei aber nicht weiter schlimm und soll ich mit meiner Frauenärztin nach der Rückkehr aus ihrem Urlaub besprechen. Ich frage ihn nach der Harnblase der beiden Babys und einem Dopplerultraschall. Er erklärt mir, dass die Harnblase des einen Babys gefüllt sei, es müsste einfach mehr Pipi machen und das andere eben nicht. Ein Dopplerultraschall hält er nicht für nötig. Sofort ist mir klar, dass meine Babys das Zwillingstransfusionssyndrom haben. Ich bestehe auf eine Überweisung zu einem Spezialisten, die er mir nach anfänglichem Zögern ausstellt.

Noch in der Praxis rufe ich die nächstgelegene Uniklinik an, hier sieht man aber auch keine Dringlichkeit und gibt mir erst für die folgende Woche einen Untersuchungstermin. Auch meine Hebamme rufe ich an und teile ihr das Untersuchungsergebnis mit. Ihr tue es sehr leid, dass ich mit meiner Angst Recht hatte und sie wäre auch bei einem schlechten Ausgang der Schwangerschaft für mich da. Für meine Hebamme haben unsere Babys gerade das Todesurteil erhalten. Auf dem Heimweg rufe ich meinen Mann an. Tränen, die ich bis dahin noch unterdrücken könnte, laufen mir über die Wange. Ich sage ihm, dass mir der Termin in der Uniklinik zu spät ist und dass wir die Uniklinik in Bonn und Mannheim kontaktieren müssen.

Zuerst versuchen wir es in Bonn. Man wisse um die Dringlichkeit des Eingriffes, benötigt aber zur Priorisierung dieser Fälle einen ausführlichen Befund. Ich zweifle, dass der Vertretungsarzt heute einen ausführlichen Befund ausstellen kann, da er es nicht mal für nötig gehalten hat einen Doppelultraschall zu machen, aber ich versuche die entsprechen Unterlagen zu erhalten. In der Arztpraxis erreiche ich jedoch schon niemanden mehr. Auch in der Uniklinik in Mannheim erreiche ich bei meinem ersten Anruf niemanden.  Zu meiner Überraschung und unserem größten Glück ruft Herr Prof. Kohl vom DZFT (Uniklinik Mannheim) keine 10 Minuten später zurück. Ich erläutere ihm telefonisch den spärlichen Befund und meine Beschwerden. Er erkennt sofort die Dringlichkeit und bestellt uns noch für den späten Nachmittag nach Mannheim. Zeitgleich organisiert er bereits den operativen Eingriff für den nächsten Tag.

Erleichtert, dass mich endlich jemand ernst nimmt und auch medizinisch behandeln kann, fahren wir sofort nach Mannheim. Die Fahrt nach Mannheim dauert etwa zwei Stunden und ich werde sofort nach Ankunft in Mannheim von Herrn Prof Kohl ausführlich untersucht. Wir hatten natürlich das Zwillingstransfusionssyndrom, bereits im zweiten Stadium. Der Spenderzwilling hatte kein Fruchtwasser mehr und die Harnblase war nicht mehr darstellbar. Dafür hatte der Empfängerzwilling ein Fruchtwasserdepot von 18 cm. Wir konnten uns glücklich schätzen, dass die Fruchtblase noch nicht geplatzt war und auch der Muttermund noch ausreichend lang war. Er erklärt uns sehr ausführlich die Entstehung des Syndroms und den operativen Eingriff. Zudem erläutert er uns die Risiken und Spätfolgen der Laserbehandlung. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% überlebt ein Zwilling und mit einer Wahrscheinlichkeit von 60% überleben beide Zwillinge. Ohne die Laserbehandlung wird die volle Fruchtblase in den kommenden Tagen platzen und beide Babys vermutlich sterben. Die meisten Informationen kenne ich bereits aus früheren Internetrecherchen und doch laufen mir wieder dicke Tränen die Wangen runter.

Herr Prof Kohl, der den Eingriff für den nächsten Morgen geplant hatte, operiert mich noch am selben Abend. Zu groß ist das eine Fruchtwasserdepot und zu groß die Gefahr, dass die Fruchtblase platzt. Nach einem unendlich langen Tag, folgt noch eine längere Nacht, denn erst am Morgen erfahren wir, dass die Operation gut gelaufen ist. Insgesamt wurden 3 Liter Fruchtwasser des Empfängerzwillings abgelassen und die Verbindungen in der gemeinsamen Plazenta konnten erfolgreich verödet werden. Beide Babys haben den Eingriff soweit gut überstanden, der Spenderzwilling hat bereits begonnen Fruchtwasser zu bilden. Allerdings ist abzuwarten wie sich beide Babys in den kommenden Wochen entwickeln. Noch am selben Tag werde ich entlassen.

Die ersten Wochen nach dem Eingriff sind emotional sehr schwierig, meine Gedanken kreisen ausschließlich um potentielle Folgeschäden aufgrund des Zwillingstransfusionssyndrom und der Laserablation sowie um eine mögliche Frühgeburt. Fast wöchentlich fahren wir zur Kontrolle nach Mannheim. Beide Babys entwickeln sich gut, die Fruchtwassermengen gleichen sich zunehmend an und keins der Babys hat eine Anämie entwickelt. Der Spenderzwilling hat nur etwas Wasser im Bauchraum eingelagert und daraus resultiert weiterhin eine geringe Gewichtsdiskrepanz zwischen beiden Babys. Mit jeder gewonnen Schwangerschaftswoche und mit jedem positiven Kontrolltermin, kann auch ich mich den Umständen entsprechend etwas entspannen. Die Schwangerschaft stabilisiert sich sogar soweit wieder, dass wir für die Kontrolltermine in die nähere Uniklinik wechseln.

Wir schaffen ganze 9 weitere Wochen bis ich in Schwangerschaftswoche 32 nachts mit starken Unterleibsschmerzen aufwache und wir sofort in die Uniklinik fahren. Zum Glück handelt es sich lediglich um vorzeitige Wehen und beiden Babys geht es gut. Wir vereinbaren, deshalb die Schwangerschaft mittels Wehenhemmer noch zu verlängern. Sicherheitshalber entscheiden wir uns dafür, dass ich bis zum Ende der Schwangerschaft in der Klinik bleibe. Und so schaffen wir auch noch weitere zwei Wochen, bis eine der beiden Fruchtblasen in Schwangerschaftswoche 34 platzt. Herr Prof Kohl hatte uns ausdrücklich empfohlen, die beiden bis spätestens Schwangerschaftswoche 35 zu entbinden, denn für beide besteht ein hohes Spätsterblichkeitsrisiko aufgrund der Operation an der Plazenta. Mehrfach bitte ich darum der schriftlichen Empfehlung von Prof Kohl nachzukommen, doch die Ärzte entscheiden sich gegen eine „vorzeitige“ Entbindung. Es spreche nichts dagegen, die Schwangerschaft bis zum Ende fortzuführen. Nach telefonischer Rücksprache mit Prof Kohl entscheiden wir uns deshalb, noch einmal in die Uniklinik Mannheim zu wechseln. Dankenswerterweise hat Herr Prof Kohl alle Vorkehrungen in Mannheim getroffen, sodass ich mich unter Wehen und mit offener Fruchtblase auf den Weg nach Mannheim begebe. Noch am selben Abend (bei 34+1 SSW) werden Jules und Ems per Kaiserschnitt entbunden. Jules hat anfangs noch Anpassungsschwierigkeiten und benötigt CPAP-Atemunterstützung und eine Magensonde. Nach 10 Tagen Neonatologie und 4 Tagen Pädiatrie dürfen beide bei 36+1 SSW nach Hause.

Seitdem 17. August 2023 vergeht kein Tag, an dem ich nicht mit großer Dankbarkeit an Herrn Prof. Kohl zurückdenke. Lieber Prof. Kohl, Vielen Dank, dass sie so schnell reagiert haben und wir noch am selben Tag ohne konkreten Befund zu Ihnen nach Mannheim kommen durften. Vielen Dank für die erfolgreiche Laseroperation noch am selben Abend. Vielen Dank für Ihre fachliche und auch menschlich so tolle Begleitung während der Schwangerschaft. Vielen Dank, dass wir am Ende noch einmal nach Mannheim zurückkommen konnten. Vielen Dank für Jules und Ems ♡

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