Die Geschichte von Nudel
Nudel hat im Laufe pränataler Untersuchungen folgende Diagnosen erhalten: Zwerchfellhernie, Hypospadie
Die Diagnose Zwerchfellhernie erhielten wir in der 30. SSW, als ich 2015 mit unserem Sohn schwanger war und wir auf Anraten der Frauenärztin bei der Feindiagnostik waren (es hatte Unklarheiten beim Geschlecht gegeben, 2 Wochen später bekamen wir die Diagnose Hypospadie). Völlig unter Schock ließen wir direkt eine Fruchtwasseruntersuchung durchführen, zu der uns die Pränataldiagnostiker geraten hatten, da sie mit einer Wahrscheinlichkeit von ungefähr 1:10 vermuteten, dass unser Kind das Down-Syndrom haben würde. Zwar war für uns schon vor der Schwangerschaft klar, dass wir ein Kind mit Trisomie 21 ohne Frage kriegen würden, aber wir wollten es jetzt genau wissen. Das Ergebnis war aber unauffällig. Durch die zusätzliche Diagnose Hypospadie wurde nach der ausführlichen Fruchtwasseranalyse noch auf das Denys Drash Syndrom hin untersucht. Diese genetischen Untersuchungen und das schreckliche Warten auf die Ergebnisse dauerten insgesamt 7 Wochen. Drei Wochen vor der Geburt waren die Untersuchungen abgeschlossen. Sie waren ziemlich nervenaufreibend („das ist es nicht, aber vielleicht das…“), ein ständiges Auf und Ab. Manchmal denke ich, es war fast schlimmer als die Zeit auf der Intensiv.
Ich hatte mich schon vor der Diagnose für eine Geburt in der Charité, Campus Virchow Klinikum entschieden. Irgendwie hatte ich von Anfang an ein komisches Gefühl und als meine Hebamme mich einmal herumführte und mir die Tür, die zwischen Kreißsaal und neonatologischer Intensivstation liegt, zeigte, beruhigte mich das sehr. Das Bild dieser Tür hatte ich seitdem im Kopf.
Nach der Diagnose empfahlen uns die Pränataldiagnostiker aber auch die Klinik in Neukölln, so dass wir uns dort auch vorgestellt haben. Allerdings haben sie kein ECMO-Gerät und meine Beleghebamme wäre nicht mit von der Partie gewesen, also war schnell klar, wir bleiben im Virchow. Dort wiederum wies uns einer der Neonatologen auf die Uniklinik Mannheim hin. Schwereren Fällen würden sie direkt empfehlen, dorthin zu gehen. Sie seien bei uns aber recht zuversichtlich und würden die Behandlung so machen wie in Mannheim. Daher würden sie das nicht für notwendig erachten, aber es sei uns natürlich selbst überlassen. Ich fand diese Offenheit gut und es hat mein Vertrauen gestärkt.
Obwohl wir uns dann im Virchow Klinikum auch auf allen Stationen außer einer meistens gut aufgehoben fühlten und obwohl es gut für uns war, zu Hause zu schlafen und dort unseren gewohnten Rückzugsraum zu haben, würde ich heute in die Uniklinik Mannheim gehen. Wir sind dort jetzt zur Nachsorge, weil ein Nachsorgeprogramm im Virchow entweder nicht existiert oder nicht funktioniert. Wir haben dort bei der Nachsorge noch einiges Neues über die CDH gelernt (z. B. verläuft die Narbe unseres Sohnes quer, üblich ist heute aber ein Längsschnitt. Auch über mögliche genetische Ursachen haben wir mit den Ärzten vor Ort gesprochen.). Zusammengefasst würde ich dort wohl hingehen, weil ich wüsste, dass es das Zentrum für CDH-Kinder ist und ich mir nicht vorwerfen müsste, nicht alles getan zu haben. Heute haben wir durch den Kontakt zu anderen Eltern deutlicher vor Augen, dass eine Prognose gut sein kann und das Kind es trotzdem nicht schafft – ebenso wie das Gegenteil: eine Prognose kann eher schlecht sein, aber das Kind zeigt es allen!
Besonders geholfen in der Vorbereitung auf die Geburt und die Zeit danach hat ein Termin mit der Elternberatung der Charité. Sie besteht aus Krankenschwestern, die Eltern begleiten, deren Kind auf einer der Intensivstationen liegt. Man hat uns durch die Stationen geführt: vom OP, in dem der Kaiserschnitt gemacht werden sollte, über die Wochenbettstation bis zu den verschiedenen Intensivstationen. Auf der Intensivstation sahen wir auch ein intubiertes Kind. Außerdem war es gut, einen Eindruck von der Station zu kriegen. Wir konnten viele Fragen stellen und erhielten wichtige, praktische Tipps (z. B. vor der Geburt einen Emailverteiler zusammenzustellen und dann Rundemails an Freunde und Verwandte zu schicken, um nicht auf jede Nachfrage einzeln reagieren zu müssen).
Die Geburt war in der SSW 38+4 per Kaiserschnitt. An einem Montag morgen standen alle parat, um unseren Sohn in Empfang zu nehmen und direkt zu beatmen und versorgen. Tatsächlich fand ich die Geburt trotz der Sorgen und der Umstände schön. Im Virchow-Klinikum werden „Kaisergeburten“ gemacht, das heißt, dass der OP-Vorhang runtergelassen wird und man zusehen kann, wenn das Kind aus dem Bauch geholt wird. Das war toll. Außerdem wurde er mir wider Erwarten ganz kurz auf die Brust gelegt, mein Mann schnitt die Nabelschnur durch. Wir hörten ihn 2 oder 3 Mal schreien, dann war er weg. Diese kurzen Sekunden waren aber wirklich wertvoll und trugen uns durch die ersten Tage.
Unser Sohn war nach der Geburt stabil, die Ärzte waren sehr zufrieden mit seinem Zustand. Zwei Tage nach seiner Geburt wurde er planmäßig operiert. Er benötigte kein Patch. Leider war die Nachricht der gut überstandenen OP überschattet davon, dass uns der Chirurg schon am Telefon direkt sagte, wir würden mit einer zweiten Baustelle, der Leber, zu kämpfen haben. Sie sei sehr groß und ein Leberwert sei extrem erhöht. Das hat uns den Rest gegeben. Bis zu diesem Moment hatten wir uns gut zusammenreißen können, aber das Gefühl, vor dem nächsten Berg zu stehen, hat mich zusammenklappen lassen. In den nächsten Wochen wurden die Leberwerte immer wieder gecheckt, immer wieder wurde die Leber geschallt, weil es Nekrosen gab. Letztendlich haben sich aber die Werte normalisiert, die Leber hat sich insgesamt erholt. Wochen später sagte uns eine Chirurgin, sie würde nach einer CDH-OP immer dazu raten, die Leberwerte nicht zu kontrollieren, weil die Leber durch den ZVK (den zentralen Zugang durch den Bauchnabel) und die vielen Medikamente leiden würde und die Untersuchung alle nur in Aufregung versetzen würde. Diese große Sorge und das Bangen hätten wir uns also ersparen können.
Eine andere Sache, die uns das Herz ebenfalls hat schwer werden lassen, waren die Zeitangaben vor der Geburt. Mein Mann wollte Elternzeit nehmen und so fragten wir, wie lange wir denn mit einer Zeit in der Klinik rechnen müssten. Es hieß, von unterschiedlichen Seiten, unser Sohn würde 2 Tage nach der OP extubiert werden und wir sollten so mit 3-4 Wochen Krankenhausaufenthalt rechnen. Diese Zahlen sind mir im Kopf geblieben und als wir diese Zeiträume überschritten hatten, dachte ich sofort, dass alles ganz schlimm sei, dabei hatten wir einfach nur Quatsch erzählt bekommen (ein Neugeborenes mit CDH verbringt im Durchschnitt 6 Wochen im Krankenhaus).
6 Tage nach seiner Geburt öffnete unser Sohn das erste Mal seine müden Augen. Je wacher er wurde, desto mehr ärgerte er sich über seinen Tubus. Am 7. post-operativen Tag hatte er nachts so mit dem Ding gekämpft, dass er extubiert wurde. Einige Stunden atmete er allein, dann musste er wieder reintubiert werden und wurde auch wieder stärker sediert und hoch-frequent beatmet. 14 Tage nach der OP wurde es noch einmal probiert, und diesmal lief alles glatt. Er trainierte dann 2 Tage lang das Atmen mit CPAP und hatte danach noch mal 3 Tage die Highflowbrille und ab dann ging’s ganz allein. Nachdem er die Highflowbrille bekam, wurde er von der „Superintensivstation“ auf eine Intensivstation verlegt, auf der es insgesamt ein wenig entspannter zuging (Kinder dort mussten nicht mehr beatmtet werden, zumindest nicht über Tubus oder CPAP).
Etwas, worüber ich schwer schreiben und bis heute schwer sprechen kann, ist sein Medikamentenentzug. Die schwierigste Situation während des Entzugs war wohl, dass wir mit ihm schon im rooming-in waren, als er seine letzte Gabe Clonidin bekam, dass beim Morphiumentzug helfen soll. Daraufhin war er 48 Stunden lang hellwach und permanent tachykard. Die ständigen Alarme wurden aber nur aus der Ferne weggedrückt. Uns wurde geraten, ihn vom Monitor abzuklemmen da sonst alle nur nervös würden, die Visite fand vor der Tür statt, also ohne, dass unser Kind auch nur angeschaut wurde. Ich mag es gar nicht weiter ausführen.
Beim Thema Trinken habe ich mir im Nachhinein oft gewünscht, mir hätte mal jemand gesagt, dass ich erst mal abwarten solle, bis er richtig wach ist, und dann warten soll, bis der Entzug durch ist, denn ich habe mich sehr verrückt gemacht. Es dauert einfach – ab seinem 34. Lebenstag musste er nicht mehr sondiert werden. Als er 4 Tage später entlassen wurde, trank er 50-80ml pro Mahlzeit aus der Flasche und schaffte es so ganz gut, seine „Auflage“ von ca. 500 ml in 24 Stunden zu trinken.
Unser Sohn wurde nach 6 Wochen entlassen, ohne Monitor, Magensonde und Sauerstoff. Die ersten zwei Monate waren von sehr vielen Arztterminen (Kinderärztin, RSV-Impfungen, Atemfunktionsdiagnostik) und Krankenhausterminen (wegen der Hypospadie und eines Hämangioms, das seit seinen ersten Lebenstagen auf der Nasenspitze wuchs) geprägt. Hinzu kamen Besuche der Hebamme, der Nachsorgeschwester und die Physiotherapie, die er ab seiner Geburt 2x die Woche bis zum Alter von 20 Monaten bekam. Wir hatten zwei Monate lang fast jeden Tag einen solchen Termin, manchmal zwei. Das war recht stressig.
Total gut war die Begleitung durch eine Nachsorgeschwester des Kindergesundheitshauses. Die Besuche waren eine große Hilfe auf dem Weg in den Alltag, es war sehr beruhigend, jemanden als Ansprechpartnerin zu haben, den man auch in einem Notfall schnell erreicht. Außerdem war im Team des Kindergesundheitshauses eine Psychologin, bei der wir zwei Mal waren. Das war sehr hilfreich, gerade weil wir ihr nicht erst lang und breit erklären mussten, was wir so mit unserem Sohn und auf der Intensivstation erlebt haben. Ich würde es jedem empfehlen!
Unser Sohn ist heute 4 ½ Jahre alt und es geht ihm gut! Er bekam 2x die Woche Physiotherapie bis er laufen konnte, da war er 20 Monate alt (ich bin heute mit seiner Physiotherapeutin befreundet 😉 ). Als Baby akzeptierte er die Bauchlage nicht (vielleicht wegen der Narbe?), sein bevorzugtes Fortbewegungsmittel war rollen und er brauchte lange, bis er in den Stütz kam. Mit einem Jahr saß und krabbelte er und dann dauerte es noch ein ganzes Weilchen bis er lief.
Eine Sorge war immer, dass er wegen der vielen Medikamente vielleicht Konzentrationsschwierigkeiten haben würde, das hören wir immer mal und werden es auch von Ärzt*innen gefragt, aber er kann sich super konzentrieren und vertiefen.
Eine andere Sorge war, dass er vielleicht schnell aus der Puste sein würde oder dass mit seiner nicht normal entwickelten Lunge jede Erkältung zu einer Lungenentzündung würde. Das ist nicht der Fall, tatsächlich hatte er bisher weder Bronchitis noch Lungenentzündung.
Woran merken wir heute noch, dass unser Sohn einen schwierigeren Start ins Leben und eine CDH hatte?
Unser Sohn hat, wohl bedingt durch die Magensonde, lange feste Nahrung zwar nicht komplett verweigert, aber nicht gern zu sich genommen, sicherlich so 2,5 Jahre lang. Er aß bevorzugt Brei, Joghurt, sehr weich gekochte Nudeln… Es gab Lebensmittel, Fleisch etwa, auf denen er nur rumgekaut hat und sie dann ausgespuckt hat. Er hat zum Glück keine Gedeihstörung, aber er ist doch recht dünn (sein 4 Jahre jüngerer Bruder wiegt nur 6 Kilo weniger als er).
Wohl bedingt durch den Darm, der ja nicht so aufgehängt ist wie bei Kindern, die mit intaktem Zwerchfell geboren werden, leidet er an Verstopfung, die medikamentös und zeitweise auch mit Physiotherapie behandelt wurde.
Unser Sohn wurde 3x operiert: die CDH-OP am 3. Lebenstag, die erste Hypospadie-OP mit einem Jahr und die zweite mit 1 ¾ Jahren, er hat 5 Krankenhausaufenthalte hinter sich. Seiner Seele und seinem Wesen merkt man diesen Start ins Leben an; Ich kann das schwer beschreiben: Er hat Angst, die Kontrolle zu verlieren. Ein fester Rhythmus in seinem Leben, den wir nach den stressigen ersten Monaten entwickelt haben, hilft ihm sehr und gibt ihm Sicherheit. Schon als Baby war klar, geht er nicht um 9h raus, gibt es einen Arzttermin. Auch heute muss er wissen, was den Tag über auf ihn zukommt, neue Erfahrungen stressen ihn erst einmal. Krankenhaus, Kranksein, Ärzte, all das beschäftigt ihn viel und intensiv. Ich finde einfach, dass man spürt, dass er kein Ur-Vertrauen hat.
Insgesamt würde ich sagen, alle körperlichen Folgen der CDH sind total gut handhabbar für ihn und uns – wir haben großes Glück!
Die Eltern sind Teil des Patenprogramms des BFVEK e.V. und freuen sich über Ihre Kontaktanfragen mit unserem Online-Formular.
Sie brauchen Hilfe? Wir sind für Sie da!
Unsere Paten sind Familien, die in der selben Situation waren wie Sie. Die Paten stehen Ihnen für einen Austausch über das jeweilige Krankheitsbild, über Erfahrungen vor und nach der Geburt sowie ihre persönlichen Entscheidungswege zur Verfügung. Somit können Sie besser den idealen Weg für Ihre eigene Familie finden.
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