Paul hat im Laufe der pränatalen Untersuchungen verschiedene Diagnosen erhalten, u.a. Fruchtwassermangel, Anhydramnion, Nierendysplasie bzw. dysplastische Nieren, Schwammnieren, LUTO (Lower Urinary Tract Obstruction), Lungenhypoplasie, Whitespot am Herzen und Pottersequenz bzw. Potter Syndrom. Entsprechend folgten verschiedene Therapien: Fruchtwasserauffüllung und Dialyse.

Nach einer erfolgreichen künstlichen Befruchtung (ICSI) wurde am 2.1.2017 bei einem Routinevorsorgetermin in der 17. SSW festgesellt, dass zu wenig Fruchtwasser vorhanden war. Deshalb ließ die Frauenärztin ihren Chef, einen DEGUM-II-Untersucher, noch einmal schallen. Bei diesem Ultraschall kam heraus, dass die Fruchtwassermenge tatsächlich deutlich zu gering war.

Fruchtwasser wird generell durch die Nieren des Kindes produziert. Der Arzt konnte links keine und rechts eine auffällige Niere erkennen und vereinbarte umgehend einen Termin für uns in der Uniklinik Würzburg. Uns wurde gesagt, dass unser Kind aufgrund von Nierenproblemen kein Fruchtwasser bilden kann, falls sich diese Diagnose bestätigen sollte. In Folge würde es auch zu Fehlstellungen der Extremitäten kommen.

Zwei Tage später hatten wir einen Ultraschalltermin in der Uniklinik mit zwei Ärzten. Sie bestätigten die Diagnose und trafen die gleiche Aussage wie der vorherige Arzt. Die Leitung der Pränataldiagnostik in Würzburg war jedoch noch im Urlaub, deshalb bekamen wir einen weiteren Termin.

Auch bei dieser Untersuchung wurde die Diagnose bestätigt. Uns wurde von der leitenden Ärztin (DEGUM II) mitgeteilt, dass ein Blasensprung auszuschließen sei und dass die geringe Fruchtwassermenge definitiv an den nicht funktionierenden Nieren unseres Kindes liege. Uns wurden die Diagnosen Potter Syndrom bzw. Potter Sequenz gestellt. Sie meinte, wir haben zwei Möglichkeiten: entweder eine Abtreibung oder eine stille Geburt. Unser Kind habe keine Überlebenschance. Obwohl wir aktiv nachfragten, wurde uns gesagt, es gebe keine Therapie für unser Kind.

Entsprechend schockiert entschlossen wir uns, die  Schwangerschaft fortzuführen und mit unserem ungeborenen Kind eine schöne Zeit  zu verbringen. Wir haben begonnen, Tagebuch zu schreiben, Ausflüge zu machen (Playmobilland, Ponyreiten, Kino) und die gemeinsame Zeit aktiv und positiv zu gestalten.

Durch den Tipp eines Arbeitskollegen entschieden wir uns nach langem Ringen doch noch dazu, für eine weitere Meinung an die Universitätsklinik Gießen zu Prof. Axt-Fliedner (DEGUM III) zu fahren. Auch wenn wir Angst hatten, zum vierten Mal die gleiche niederschmetternde Diagnose zu hören, wollten wir uns später nicht vorwerfen müssen, es nicht doch versucht zu haben. Professor Axt-Fliedner bestätigte die Diagnose, jedoch teilte er uns mit, dass es durchaus eine experimentelle Behandlungsmöglichkeit gibt. Man könne das Fruchtwasser in regelmäßigen Abständen auffüllen, damit sich die Lunge entwickeln kann und nach der Geburt mit einer Nierenersatztherapie (Dialyse) beginnen. Wir sollten über die Möglichkeit nachdenken und bis Freitag (es war Mittwoch) überlegen, ob dies für uns eine Option darstelle.

Da wir selbst die geringste Chance für unser Kind nutzen wollten, auch ohne Erfolgsgarantie, haben wir uns für die Behandlung entschieden. Wir sind direkt am Montag wieder in die Uniklinik nach Gießen gefahren. Am Dienstag haben wir Professor Kohl vom Deutschen Zentrum für Fetalchirurgie & minimal-invasive Therapie (DZFT) kennengelernt (neuer Standort seit 2018: Mannheim). Uns wurden die Risiken und Möglichkeiten der Therapie in Ruhe erklärt. Anschließend wurde die erste Fruchtwasserauffüllung durchgeführt. Sie fand im OP unter sterilen Bedingungen statt. Ich erhielt eine lokale Betäubung. Es lief in einer entspannten Atmosphäre und schmerzfrei ab. So, dass der Gedanke, diesen kurzen Eingriff noch öfter zu haben, völlig in Ordnung war.

Die erste Auffüllung war bereits Anfang der 20 SSW. So war die Lunge noch nicht stark beeinträchtigt und konnte sich mit den regelmäßigen Fruchtwasserauffüllungen (ich hatte insgesamt 6 Auffüllungen, das ist jedoch individuell sehr unterschiedlich) gut weiterentwickeln. Nach der ersten Auffüllung habe ich unseren Kleinen zum ersten Mal im Bauch gespürt. Das hat uns gezeigt, dass es ihm gut getan hatte. Auch bei den weiteren Auffüllungen konnten wir immer feststellen, dass ihm mehr Platz gut tat und er sich fleißig bewegte – was uns in unserer Entscheidung bestätigt hat.

Nach der ersten Auffüllung hatte ich nochmal einen Termin bei dem Arzt, der die erste Diagnose gestellt hatte. Er befand es für nötig, mir noch einmal deutlich zu sagen, dass diese Behandlung doch experimentell sei und mir keiner eine Garantie geben könne. Weshalb ich mir nicht zu viel versprechen solle. Er kenne kein Kind, das bei so einer Diagnose überlebt habe, und die Eingriffe seien ja auch für mich ein Risiko. Zum Glück haben wir uns davon nicht verunsichern lassen, da die beiden anderen Alternative für uns einfach nicht in Frage kamen.

Am 4.6.2017 wurde unser Paul bei 38+3 SSW spontan in Marburg geboren. Es stand ein Team aus Kinderärzten bereit, um ihn umgehend zu versorgen. Er hat jedoch alle überrascht und von Anfang an selbst so gut geatmet, dass er nur für 12 Stunden Sauerstoff in den Inkubator geleitet bekommen musste. Seine rechte Niere hat auch angefangen, zumindest einen Teil ihrer Aufgaben aufzunehmen und begann, Flüssigkeit auszuscheiden. Da sie jedoch nicht allein die Entgiftung übernehmen konnte, wurde Paul am dritten Lebenstag operiert und bekam einen Tenckhoffkatheter. Über diesen wurde zwei Tage später mit der Dialyse begonnen. Sie läuft bisher gut und Paul ist stabil. Auch wenn noch viel vor uns liegt, sind wir sehr froh, diesen Weg gegangen zu sein! Es war richtig, nicht blind auf die Aussagen der ersten Ärzte zu vertrauen. Außerdem hat es uns viel geholfen, mit anderen Betroffenen zu reden. So hatten wir fast 6 Monate Zeit, uns vorzubereiten und zu planen, damit wir unseren Paul bei seinem doch nicht so leichten Start ins Leben so gut wie möglich unterstützen können.

Während unserer Zeit in Marburg erfuhren wir auch, dass unsere ursprüngliche Diagnose Potter Syndrom veraltet ist und eigentlich nicht mehr verwendet wird. Unsere eigentliche Diagnose lautet LUTO (Lower Urinary Tract Obstruction).

Paul wurde am 04.11.2017 fünf Monate alt. Inzwischen spielt Paul am Spielebogen, kann sein Köpfchen selbst halten, guckt interessiert umher und flirtet vor allem mit fremden Frauen.
Er wächst und nimmt zu, wenn auch langsam. Er legt sich, da sowohl die Dialyse als auch die Nierenfunktion gut sind, gerne etwas trocken, was die Gewichtszunahme erschwert. Paul hat inzwischen leider aufgehört das Fläschchen zu nehmen. Er hat zwar Hunger und schreit dann auch, möchte aber nichts an seinem Mund haben und verschluckt sich. Aktuell machen wir eine Trinktherapie, da er aber seine normale Nasensonde öfters einmal gezogen hat, wurde ihm in Marburg eine PEG-Sonde gelegt. Das klappt super und Paul ist viel entspannter, da er keinen Schlauch mehr in der Nase und im Rachen hat. Wir als Eltern können nachts durchschlafen, da wir ihn nicht mehr alle 4 Stunden sondieren müssen, sondern dies nun eine automatische Pumpe übernimmt.
Wir hatten auch unsere erste Bauchfellentzündung, die wir aufgrund von trübem Dialysat bemerkt haben und die dann mit Antibiotika behandelt wurde. Auch hier ist alles gut verlaufen.

Das nachfolgende Bild zeigt Paul im Alter von 6 Monaten bei einem Photoshooting mit Eva Röske Fotografie

Update 04.09.2018

Inzwischen ist Paul 15 Monate alt. Er hat seinen ersten Geburtstag und seine Taufe groß gefeiert, mit über 80 Gästen. Denn es gibt viele Gründe zu feiern:

  • Die Dialyse funktioniert weiterhin stabil und seine Blutwerte sind in einem guten Rahmen.
  • Paul entwickelt sich langsam aber stetig weiter. Er krabbelt fleißig und sehr schnell, zieht sich an allem hoch, steht dort wie eine Eins und versucht seine ersten Mini-Schritte.
  • „Mama“ und „Papa“ sagt er, wenn auch etwas unkoordiniert. Er brabbelt gerne und viel vor sich hin, insbesondere mit anderen Kindern.
  • Paul befindet sich gerade in der Eingewöhnungsphase bei seiner Tagesmutter, die auch seine Sondierung übernimmt. Paul fühlt sich sehr wohl und liebt es, die anderen Kinder zu beobachten.
  • Er isst zwar immer noch nicht, aber zu unserer großen Freude hat er begonnen, aus einem Becher zu trinken.
  • Auch den ersten Familienurlaub an der Ostsee haben wir gemeinsam gemeistert. Die Investition in einen Bus hat sich auf jeden Fall gelohnt, um Pauls „Sondergepäck“ transportieren zu können.
  • Paul hatte für ein paar Monate über den Winter einen „Helm“, um seinen durch die lange Zeit auf der Intensivstation plattgelegenen Kopf wieder in die richtige Form zu bringen. Der Helm diente als „Idealform“, in die der Kopf hineinwachsen konnte. Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden, auch wenn wir die Kosten selbst übernehmen mussten.
  • Paul ist auf der Transplantationsliste von Eurotransplant gelistet und wir hoffen, dass er bald ein Organ bekommen kann. Parallel wird Pauls Papa ebenfalls auf Spenderkompatibilität getestet, um im Notfall einspringen zu können. Denn Paul wird in seinem Leben mehr als eine Niere benötigen.

 

Update 30.10.2019

Paul ist inzwischen kein kleines Baby mehr, sondern ein lebhaftes Kleinkind:

  • Paul läuft und rennt durch sein Leben und bewegt sich auch per Bobbycar und Puky fort. Es ist immer schwerer, mit ihm Schritt zu halten. Er hat sehr viel Spaß bei seiner Tagesmutter mit den anderen Kindern, liebt das Bällebad und Spielplätze. Wasser und Sand sind ein Problem für ihn aufgrund seines Dialysekatheters, aber mit etwas Kreativität und Aufwand findet man auch hier Lösungen.
  • Er hat einen starken Charakter und Willen entwickelt, den er auch gerne kundtut, wenn etwas nicht so läuft, wie er es sich vorstellt. Es ist sehr schön zu sehen, dass er sich hier nur wenig von gesunden Kindern unterscheidet. Er spielt gerne mit seinem Feuerwehrauto, Playmobil, der Werkbank und ist mit seinem Arztkoffer als „Dr. Paul“ unterwegs. Oma und Opa sind natürlich auch hoch im Kurs.
  • Er erhält weiterhin täglich Dialyse bei uns zu Hause. Ein Angebot für ein Spenderorgan gab es trotz über 2 Jahre Wartezeit leider noch nicht. Soweit ist aber alles stabil und er empfindet es nicht als störend. Papas Tests waren positiv, so dass er im Ernstfall als Nierenspender einspringen könnte. Trotz der Dialyse waren wir auch viel unterwegs: Norderney, Ostsee, Berlin, Mecklenburgische Seenplatte, Ferien auf dem Bauernhof und viele weitere Orte haben wir als Urlaube oder Städtetrips besucht.
  • Paul wird immer noch mit Spezialnahrung vollsondiert, er isst zwar, aber nur sehr geringe Mengen und unregelmäßig.

Insgesamt erachten wir und unsere betreuenden Ärzte und Therapeuten Pauls Entwicklung im Kontext seiner Grunderkrankung als sehr positiv.

Oft werden wir gefragt, wieso unser Sohn Paul heißt und ob wir denn den Comedian Paul Panzer nicht kennen würden. Paul war für uns der ideale „Bauchname“, da wir den Namen sehr schön finden, aber unseren Sohn wegen des „Promifaktors“ eher nicht so nennen wollten. Als wir in SSW 17 die schwere Nachricht erhielten, dass Paul nicht überleben wird, entschieden wir uns, den Namen beizubehalten. Nun, nachdem unsere Geschichte doch gut ausgegangen ist, haben wir uns dazu entschlossen, ihn nicht mehr zu ändern, da Familie und Freunde den Kleinen schon als Paul kannten. Falls Paul sein Vorname in seinem späteren Leben nicht gefällt, kann er immer noch auf seinen zweiten Vornamen Thomas umschwenken – benannt nach dem Mann, der unserem Sohn das Leben gerettet hat und nach dem Studienkollegen, über den wir beide uns kennengelernt haben.

Pauls Eltern sind Teil des Patenprogramms des BFVEK e.V. und freuen sich über Ihre Kontaktanfragen mit unserem Online-Formular.

Sie brauchen Hilfe? Wir sind für Sie da!

Unsere Paten sind Familien, die in der selben Situation waren wie Sie. Die Paten stehen Ihnen für einen Austausch über das jeweilige Krankheitsbild, über Erfahrungen vor und nach der Geburt sowie ihre persönlichen Entscheidungswege zur Verfügung. Somit können Sie besser den idealen Weg für Ihre eigene Familie finden.